Nationalbibliothek per Gesetz deutscher Big Brother


Das ist mal ein eine Schlagzeile, welche Bild Konkurrenz machen könnte. Sie stammt aber nicht von mir, sondern fiel mir heute in einer Signatur eines Moderators im Winhelpline-Forum auf (ich bin dort seit fast sechs Jahren als Moderator dabei). Genaugenommen lautet sie mit entsprechendem Link Nationalbibliothek per Gesetz deutscher BigBrother (Gesetzestext, siehe §§ 2, 3, 14 + 15!).

Ich muss gestehen, dass ich erst mal verblüft war – hatte ich etwas ganz essentielles verpasst? Bei der Durchsicht der Paragraphen erschienen sie mir eigentlich nicht besonders die Privatsphäre kompromittierenden. Also hab ich mal geguckt, ob ein entsprechender Beitrag existiert und fand diesen dann unter dem Betreff Gesetz beschlossen und keiner hat’s gemerkt – oder doch? Ich war doch erstaunt, wie sehr das DNB-Gesetz misinterpretiert werden kann. Außerdem klingen auch einige andere grundsätzliche Mißverständnisse bezüglich Bibliotheken an (z.B.: Ist der Inhalt des Gesetzes wirklich so neu? Kostet die Ausleihe?). Obwohl es ja schon reichlich spät war, konnte ich das so ja nicht stehen lassen – Bibliotheken haben ja vielleicht ihre… “planungstechnischen” (?) Probleme, aber sie ist eine Institution, welche auch (oder insbesondere) eine wichtige Funktion in einer demokratischen Gesellschaft erfüllt – wohl kaum jemals ein Big Brother. Meine Antwort ist in obigem Link auf den Beitrag im Forum zu finden oder in diesem Blogeintrag (bereinigt von meinem ausuferndem Zwang Smileys zu verwenden).

Tja, stellen sich mir (bis jetzt nur) drei Fragen:

  1. War die Antwort gut (inhatlich korrekt, Umfang – eher wohl wieder zu viele Abschweifungen, schlüssig) – man (ich) trifft aber auch eher selten auf solche Fragen im “freien Feld”? [oder sollte ich doch lieber in einer Schlaflosigkeitsphase sowas “fabrizieren”?)]
  2. Ist diese geäußerte Befürchtung (Interpretation) eigentlich ein Einzelfall?
  3. Wieviele mögen solche – grob umrissen und abgesehen von der derzeitigen Umsetzung – Harvesting-Projekte (oder gar das Sammeln allgemein) durch Bibliotheken als Verschwendung ihrer Steuergelder wahrnehmen. Ich hatte immer den Eindruck, dass selbst “Nichtnutzer” von Bibliotheken, diese im Schnitt trotzdem als grundsätzlich sinnvolle Einrichtungen erachten.

Nunja, ich belasse es mal dabei und schau mal, ob mir gleich im Bett wieder der Kreislauf in Schwung gerät, weil mir da noch was zu einfällt – oder morgen, weil man solche Sachen vielleicht besser nicht des Nachts abhandeln sollte 😉


Meine Antwort im Forum

Oh, bin gerade erst auf Melodics Signatur aufmerksam geworden. Da ich ja nun auch noch Bibliotheks- und Informationsmanagement studiere, kann ich dazu nicht schweigen.
Als erstes weise ich auf den hilfreichen und guten C’t-Artikel Lebenskonserve – Neues Gesetz: Nationalbibliothek soll Netzinhalte archivieren hin.

Der weist z.B. darauf hin, dass es das Pflichexemplargesetz “bisher schon für Buch- und Zeitschriftenverlage sowie andere Medienproduzenten galt” und im wesentlichen eine Ausweitung des Sammelauftrages auf “‘Medienwerken’ […], die in ‘unkörperlicher Form’ vorliegen” stattgefunden hat. Schonmal aufgefallen, dass quasi in jedem Buch auch eine CIP-Aufnahme enthalten ist?

Im Abschnitt Jäger des digitalen Schatzes heißt es

So sollen in die erweiterte Ablieferungs- und Sammelpflicht zunächst diejenigen Publikationen einbezogen werden, die es in ähnlicher Art auch in der Welt der gedruckten Medien gibt, also etwa elektronische Tageszeitungen, Magazine und Monografien, Lexika und andere Nachschlagewerke.
Darüber hinaus sollen aber auch andere Websites gesammelt werden, deren Informationsgehalt über reine Öffentlichkeitsarbeit, Warenangebote, Arbeitsbeschreibungen sowie Bestandsverzeichnisse oder -kataloge hinausgeht.

Im wesentlichen, und ich denke das betont der Artikel recht gut, geht es um den Erhalt des Kulturerbes im weitesten Sinne. Vereinfacht kann man sagen, das was ver[I]öffentlich[/I]t wird und damit für mehrere zugänglich (und “bedeutsam”) ist, auch erhaltenswert ist. Das das ganze – und 1984 ist eines meiner Lieblingsbücher – nichts mit Big Brother (das ist eher sowas wie der “Lauschangriff” oder der “Patriot Act”) zu tun hat, ergibt sich aus dem, dem Artikel folgenden, Interview mit Frau Ute Schwens (Direktorin der Deutschen Nationalbibliothek):

Frage C’T
Viele der Inhalte, die Sie einsammeln wollen, sind urheberrechtlich geschützt. Unterlaufen Sie nicht diese Rechte, indem Sie die Werke öffentlich abrufbar machen?

Antwort Schwens
Schwens: Die Ablieferer müssen uns so genannte Metadaten mitschicken. Dabei handelt es sich insbesondere um technische und rechtliche Informationen. Wir fragen beispielsweise ab, welche Nutzungsrechte uns eingeräumt werden und ob wir die Werke der Öffentlichkeit verfügbar machen dürfen. Wir wollen nicht verlegerisch tätig sein und Entgelte von unseren Nutzern verlangen. Dafür hätten wir auch keine Abrechnungsschnittstellen. Wenn wir keine Erlaubnis zum Abruf der archivierten Web-Inhalte über unsere Online-Recherche-Tools erhalten, werden sie eben nur in der Präsenzbibliothek zugänglich sein.

Ich hoffe, dass ich die Sorgen hiermit etwas entkräften konnte. Im übrigen erkennt man ja aus dem Artikel und dem Interview auch, dass die ganze Sache ohnehin einen ziemlich aktionistischen, unausgereiften Status bezüglich der Umsetzung hat (viel Spaß bei der ordentlichen Erschließung – schließlich wolle wir ja nicht in 100 Jahren á la Google-Volltextrecherche billiarden Dokumente durchsuchen oder). Naja, so sind Bibliotheken eben – schon mal von Web 2.0 gehört? Und von Library 2.0?

Und ansonsten: Sollte von euch mal einer ein Buch schreiben, dass veröffentlich wird, damit Ablieferungspflichtig und vielleicht zusätzlich von einigen örtlichen Bibliotheken gekauft, dann bezahlen die ja immer noch die Bibliothekstantiemen – und damit letztlich euch.

Da sich auch jemand darüber aufregte, dass die Abgabe kostenpflichtig sei, wende ich mal ein, dass das i.d.R. der Verlag übernimmt. Das bei Internetdokumenten eher über ein Harvesting als praktikable Lösung nachgedacht wird ist dem Artikel zu entnehmen. Ich muss aber auch der Aussage von quman (und dem vorangegangenen Post) widersprechen, dass “eine Bibliothek verleiht nicht’s umsonst – auch nicht die Bibliotheken mit den gedruckten Büchern”. Das tut sie wohl, denn sonst würde sie nicht verleihen, sondern vermieten und damit wären wieder ganz andere rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt. Es gibt sicher auch mache Diskussionen, ob das so konkret zutrifft, aber im Grundsatz gilt, dass Bibliotheken kostenlos leihen und nur eine Bearbeitungsgebühr kassieren. Öffentliche Bibliotheken haben da teilweise schon – meiner Meinung nach – bedenklich hohe Gebühren für Ausweise und teilweise (nicht immer) pro ausgeliehenem Buch und das ist gewiss auch ein durch Einsparungen provozierter Vorgang (Bibliotheken werden freiwillig von den Kommunen getragen, ein verpflichtendes Gesetz zur Bereitstellung von Bibliotheken gibt es nicht – höchstens sehr indirekt über Artikel 5 des Grundgesetzes). Fairer Weise muss man aber z.B auch anmerken, dass Studenten i.d.R. quasi wirklich kostenlos an ihr Materialien kommen – das ist aber wiederum auch genauer in den Landeshochschulgesetzen genauer geregelt.

Also nicht auf Bibliotheken kloppen – wer weiß wie “erschwinglich” und zugänglich “Information” zukünftig sonst sein wird. Ganz andere Gesetze als das DNBG sind da viel bedrohlicher – unsbesondere die Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Nicht umsonst fügt die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin ihren E-Mails an Kunden nun folgenden Satz an:

„Möchten Sie zukünftig 30 Euro für die elektronische Lieferung eines Zeitschriftenartikels zahlen? Diese Gefahr ist Realität!“

Dieser Medlib-Blogeintrag fast das kurz zusammen. Oder wie es ist mit dem Paragraphen 52a Öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung, dessen Anwendung zwar nun auf 2008 verlängert wurde, dessen Schicksal aber nicht gewiss ist.

Also im schlimmsten Falle ist man ~2009 Student [zahlt ~500€ Studiengebühren], muss sich sämtliche Lehrmaterialien selber kaufen [52a] und kann sich studienwichtige Artikel nicht von der Bibliothek zuschicken lassen (Fernleihe), wenn Verlage diese selber kommerziell anbieten. Und dann darf der arme Student nicht mal seine teure CD in MP3 konvertieren, um wenigstens etwas Aufheiterung unterwegs zur Uni zu haben, weil er damit einen Kopierschutz umgehen würde…

Zumindest erlaubt mir das UrhG aber noch das Zitieren [§51] um ein bissel Licht ins Dunkel zu bringen – auch wenn die Quellenangaben nicht so ganz Eins A sind

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Das Urheberrecht ist eine wichtige Grundlage. Trotzdem sind Einwände, wie sie in der Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft erhoben werden, von ganz entscheidender Bedeutung – meiner Meinung nach.


2 Antworten zu “Nationalbibliothek per Gesetz deutscher Big Brother”